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Meine Geisterstadt Damaskus zwischen Kampf und grausiger Leere

Nun hat der Krieg Damaskus erreicht . Oder sollte ich sagen, die Revolution? Aber wir schlafen ein und wachen auf zum Donner der Explosionen, die fast die ganze Stadt erschüttern, wir hören die Hubschrauber, die Militärflugzeuge, das Rattern der Maschinengewehre. Das ist der Klang des Krieges.

Der Gedanke, Damaskus könnte nun ein neues Baba Amr werden, dieser Stadtteil von Homs, der in weiten Teilen in Trümmer gelegt wurde, schneidet mir ins Herz. Ich weiß, in den nächsten Wochen wird kaum ein Tag vergehen, an dem ich nicht die Namen von 200 Toten notieren werde. Oft werden es sogar mehr sein.

Wir hatten in den vergangenen Wochen oft Gerüchte gehört, dass die Freie Syrische Armee bald nach Damaskus käme. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. In kürzester Zeit hat sich die Hauptstadt in eine Geisterstadt verwandelt.

Hier im Zentrum der Macht haben viele Menschen lange so getan, als sei alles wie immer im Land. Jetzt sieht man kaum jemanden auf den Straßen, der Müll türmt sich, da die städtische Müllabfuhr die Arbeit eingestellt hat, die meisten Geschäfte sind geschlossen. Wer keine Vorräte gehamstert hat, gerät schnell in Not. Um bei einer der staatlichen Bäckereien Brot zu bekommen, muss man zwei bis drei Stunden anstehen, die privaten Backstuben sind geschlossen – ich weiß nicht, ob aus Angst oder weil sie kein Mehl haben. Um einen geöffneten Supermarkt zu finden, muss man lange durchs Stadtzentrum laufen. Gas zum Kochen gibt es kaum noch.

Hätte alles schneller gehen können?

Dies ist vermutlich der Anfang vom Ende der Ära Assad . Aber um welchen Preis wird er aufgeben? Das untergehende Regime schlägt wie ein Monster um sich , als wolle es im Niedergang noch möglichst viel zerstören und töten.

Hätten die Bewohner von Damaskus, hätte die Wirtschaftselite der Hauptstadt von Anfang an die Revolution stärker unterstützt, wäre vielleicht alles schneller gegangen. Hätten die Händler der Hauptstadt ihre Geschäfte geschlossen, um die Revolution zu unterstützen (und nicht, wie jetzt, aus Angst vor den Bomben), sähe vieles anders aus, wäre uns womöglich viel des Grauens der letzten Monate erspart geblieben.

Und selbst jetzt kann man nicht sagen, dass Damaskus kämpft. Es sind Syrer aus dem ganzen Land, die in die Hauptstadt strömen, Bataillone aus Homs, aus Daraa, aus den Vororten eilen herbei weil Damaskus sie im Stich gelassen hat.

Ich zähle die Toten, notiere ihre Namen und die Umstände ihres Todes, damit es eines Tages Gerechtigkeit geben kann. Ich bin die Dokumentarin des Todes, ich sehe Dutzende von Videos jeden Tag, um die Details festzuhalten. Ein Körper nach dem anderen zieht vor meinem Auge vorbei, manche Gesichter zeigen Schock und Entsetzen – bist du das, Tod? –, während andere so friedlich aussehen, als schliefen sie nur.

Manchmal verlasse ich mein Versteck, um dem Krieg zuzuschauen, dem sich meine Stadt nun stellen muss. Dann sehe ich Tausende von Menschen, die fortwollen, aber nicht wissen, wohin. Es gibt für sie keine Zuflucht, denn Damaskus selbst war ja Zuflucht geworden für die Flüchtlinge aus den anderen syrischen Städten. Doch wo sie Aufnahme fanden, in den Stadtteilen Tadamon, Hajar, Sayeday, Qudsaya, fallen nun ebenfalls die Bomben. Die Menschen sammeln sich in Schulen, auf der Straße, irren von Ort zu Ort, suchen nach Wasser, Lebensmitteln, Medikamenten.

Mit Assef Schaukat, der vergangene Woche bei dem Bombenanschlag ums Leben kam, hat das Regime einen seiner kriminellsten Köpfe verloren. Der Schwager des Präsidenten gehörte zu denen, die hinter einer Mauer der Macht das Land kontrollierten. Nun, da einer der Köpfe abgeschlagen ist, schlagen Arme und Beine des Machtapparats umso wilder um sich. Ein Endzeitgeruch hängt in der Luft.

Und die Welt fragt nach Plänen: Was will die Opposition in der Zeit nach Assad tun, was wird aus dem Land, wer übernimmt die Macht? Es ist leicht, Pläne zu machen. Sie dann wirklich umzusetzen, im Kampf verschiedener Gruppen, ist etwas ganz anderes. Unsere bisherige Opposition wird dabei nicht viel zustande bringen, ohnehin wird der Westen versuchen, das Land nach seinen Interessen zu formen, ebenso wie unsere Nachbarn und die Extremisten in der Region. Alle werden sich einmischen und versuchen, uns zu manipulieren. Da mache ich mir keine Illusionen.

Der Preis für die Freiheit

Wir sollten mit dem Schlimmsten rechnen. Die Angst vor ethnischer Gewalt ist groß, das Misstrauen zwischen den Gruppen ebenfalls. Viele Angehörige der Schabiha-Milizen aus Alawitendörfern gelten als Schuldige für die Massaker in Homs und Hama, der Hass auf sie ist enorm. Umso bemerkenswerter, dass bislang zumindest keine groß angelegten ethnisch motivierten Racheaktionen vonseiten der Aufständischen zu beobachten sind.

Noch ist völlig ungewiss, was aus dem Land wird. Das gehört zu dem Preis, den wir für unsere Freiheit zahlen. Eines aber steht jetzt schon fest: Wir Syrer werden lange brauchen, um uns wieder zu finden. Als Volk, als Bürger, als Menschen .

Source; Zeit Online

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