Bitte keine Luftangriffe! Noch ist Syriens Regime stabil. Doch der Protest erreicht die Vororte der
Viele Menschen in Syrien hatten gehofft, dass sie an Eid al-Fitr, dem großen Fest zum Abschluss des Ramadan, auch das Ende des Assad-Regimes würden feiern können. Diesen Optimismus habe ich nie geteilt – auch wenn ich überrascht und glücklich war über die unerschöpfliche Energie, mit der die Leute den ganzen Fastenmonat über auf die Straße gingen. Die Syrer haben ihr Versprechen gehalten und jeden Tag in einen Tag der Proteste verwandelt.
Ramadan war für mich als nicht religiöser Mensch immer eine Zeit der Langeweile; vier Wochen, in denen ich auf der Straße nicht rauchen darf, in denen sich das Volk teilt in jene, die mit Hingabe fasten, und jene, die ungeduldig auf das Ende des Monats warten. In diesem Jahr war alles anders, für uns alle, ob religiös oder nicht religiös. Wir sind enger zusammengerückt und sehen einander in neuem Licht. Glückwünsche spare ich mir sonst, aber dieses Jahr hätte ich am liebsten jedem Syrer persönlich eid mubarak, ein gesegnetes Fest, gewünscht: den Familien der Getöteten, den Tausenden Gefangenen und denen, die um sie bangen, meiner Familie, meinen Freunden im echten Leben und im Internet. Ich liebe euch alle, wollte ich ihnen zurufen, und dass wir gegenseitig unsere Wunden heilen werden im neuen Syrien. Der Ramadan gab dem Volk die Chance, sich jeden Tag zu versammeln und von den Moscheen aus den Marsch durch die Straßen zu starten.
Nun ist der Ramadan vorbei, ein Ramadan, den das Regime in einen Monat des Tötens verwandelt hat. Der Kampf aber geht weiter. Wir spüren den Schlüssel zur Freiheit in unseren Händen, die Frage ist nur noch, wann wir die Tür endgültig öffnen können.
Vergangene Woche habe ich mich aus meinem Versteck gewagt und bin zu einer Demonstration nach Harasta gefahren, an mehreren Checkpunkten vorbei. Eigentlich war das Wahnsinn, auf den Fahndungslisten der Geheimdienste stehe ich weit oben, wie ich regelmäßig von Freunden höre, die verhaftet und wieder entlassen wurden. Immer fragen sie in den Verhören nach mir, sie suchen mich wie verrückt. Aber ich musste raus. Ich wollte die Revolution endlich wieder selbst spüren.
Es war unglaublich. Harasta ist ein eher konservativer Vorort von Damaskus, unter anderen Umständen verbände mich mit den Menschen dort wenig. Jetzt aber waren wir alle eins, sangen mit einer Stimme: »Verschwinde, Baschar!«, es war wie eine große Party. Ich saß auf den Schultern eines anderen Demonstranten und schrie mir die Seele aus dem Leib. Das Regime hatte den Strom abgeschaltet, doch wir hatten einen Generator dabei für die Lautsprecher und das Licht. Für mich war es wichtig, mich öffentlich zu zeigen: Der syrische Botschafter in den USA hatte kürzlich behauptet, ich sei längst im Ausland und mein Leben im Versteck in Syrien eine einzige Lüge. So absurd das ist, offenbar hatten viele ihm geglaubt, jedenfalls schienen viele überrascht, mich in Harasta zu sehen. Und der Botschafter, der mich eine Lügnerin schimpfte, stand selbst als Lügner da.
In Damaskus selbst ist es immer noch viel zu ruhig. Es macht mich wütend, das Zögern der Bürger meiner Stadt zu sehen. Umso enthusiastischer stimmen mich die vielen kleinen Feuer des Protests, die in immer mehr Vierteln aufflackern und vor allem der Ring von Protesten, der sich aus den Vororten von Damaskus immer enger um die Hauptstadt legt. Auf dem Schachbrett der Revolution liegt hier der Sieg: Erst wenn die Proteste das politische und ökonomische Herz erreichen, setzen wir das Regime matt. So wie die Libyer jetzt mit dem Marsch auf Tripolis ihr Ziel erreicht haben.
Die beiden Länder werden in diesen Tagen oft in einem Atemzug genannt, wohl weil mit dem Sieg der Revolution in Libyen die militärische Option auch für die Kritiker in positiverem Licht erscheint. Ich freue mich für die Libyer, dass sie Gadhafi vertrieben haben, und sie hatten alles Recht, sich für diesen Weg zu entscheiden. Aber ich bin überzeugt, dass eine militärische Intervention von außen für Syrien der falsche Weg wäre. Wir in der arabischen Welt mögen ähnliche Probleme haben – das heißt nicht, dass auch die Lösungen dieselben sein müssen. Das Syrien, von dem ich träume, müssen wir ohne Unterstützung von Kampfflugzeugen der Nato erkämpfen. Natürlich ist angesichts der grenzenlosen Brutalität dieses Regimes letztlich alles denkbar: ein Bürgerkrieg, eine Eskalation der Gewalt bis zu einem Punkt, an dem auch wir das Gefühl haben, wir schaffen es nicht allein – aber so weit sind wir noch lange nicht. In Syrien gibt es kein befreites Bengasi, von wo aus eine Armee schwer bewaffneter Rebellen auf die Hauptstadt marschiert. In Syrien stehen eine Armee und ein Heer von Schlägern einem weitgehend unbewaffneten Volk gegenüber. Es gibt keine klare Front, die mithilfe der Nato vorangebracht werden könnte. Die Front verläuft durch jede Stadt, jedes Dorf, ja jede Straße, in der die Menschen ihre Würde zurückfordern und das Regime ihnen mit Scharfschützen, Schlägern und Artilleriefeuer antwortet. Und mit Folter, immer wieder Folter.
Ich dachte, ich sei inzwischen an die Bilder des Schreckens gewöhnt, wähnte mich durch ständige Konfrontation mit den Opfern und ihren Geschichten immunisiert gegen die Trauer über den Einzelfall. Doch dann überfällt sie mich schlagartig. Ich weiß nicht, warum gerade das Foto von Ismail Zarteet aus Latakia mich so berührt hat, er war einer von vielen, deren Verhaftung ich auf meiner Facebook-Seite vermeldet hatte. Aber sein Gesicht hat mich in Gedanken begleitet, es war irgendetwas in seinem Lächeln, stark und sanft zugleich. Vor ein paar Tagen erfuhr ich, dass er zu Tode gefoltert worden ist. Unter das Foto des lächelnden Ismael hatten seine Unterstützer ein Bild des toten Ismael gepostet. Sein nackter Oberkörper wirkt merkwürdig aufgedunsen, um die Nase zieht sich eine Blutspur. Ich habe Dutzende solcher Bilder gesehen – und trotzdem hatte ich gerade bei diesem Foto das Gefühl, die Welt um mich herum verschwände. Eigentlich ist die Realität ganz simpel: Das Regime stiehlt unsere Söhne und gibt sie uns in Särgen zurück. Dagegen wehren wir uns mit unserer Revolution.