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"Ich will mitschreien" Damaskus erhebt sich, und das Regime weiß: Wenn die Hauptstadt fäll

Jeden Augenblick rechne ich damit, dass der Geheimdienst zur Tür hereinstürmt und mich festnimmt. Mich schreckt nicht so sehr der Gedanke ans Gefängnis – viele meiner Freunde haben das überstanden. Aber ich weiß, wenn der Apparat mich erst einmal hat, dann komme ich so schnell nicht wieder frei. Und dann würde ich diesen historischen Moment der syrischen Revolution verpassen, den ich miterleben möchte.

Ohnehin macht es mich fast wahnsinnig, dass ich in meiner Kammer hocke, während draußen die Proteste wachsen. Mein neuntes Versteck in vier Monaten! Ich will mitmarschieren, will meine Stimme laut gegen das Regime erheben. Stattdessen bewege ich mich vom Bett zum Schreibtisch, vom Schreibtisch zum Bett.

Zwischendurch ins Bad, dann Kaffee kochen, zurück an den Computer. Manchmal werde ich wütend, weil ich das Gefühl habe, die Revolution zieht einfach an meinem Fenster vorbei.

Vor allem jetzt, wo Damaskus endlich aufwacht. Jeden Tag schließen sich neue Viertel den Protesten an. Dass mittlerweile bekannte Schauspieler und Intellektuelle mitdemonstrieren, zeigt, dass Damaskus im Herzen der Revolution angekommen ist. Wir müssen dem Regime die Hauptstadt entwenden, damit es die Proteste nicht länger als marginale Bewegung aus der Provinz abtun kann. Allerdings zahlt die Stadt dafür einen hohen Preis: Allein an einem der letzten Wochenenden wurden 23 Demonstranten getötet. Das Regime spürt die Gefahr. Wenn es Damaskus verliert, hat es seine Macht verloren.

Also schicken sie Tausende Pro-Assad-Komparsen auf die Straße, um Massenunterstützung für das Regime vorzutäuschen. Mich erinnert das an Mubarak und Ben Ali: Die haben auch bis zuletzt nicht verstanden, dass es nicht darum geht, wie viele Unterstützer sie noch haben. Sondern um die Frage der Legitimität ihrer Herrschaft. Wie verzweifelt die syrischen Herrscher sind, zeigt auch, dass sie immer wieder versuchen, die Angst vor ethnischen Konflikten zu schüren, und dabei nicht davor zurückschrecken, diese Konflikte selbst anzustacheln. Doch wir lassen uns nicht gegeneinander aufhetzen. Deshalb haben wir den vergangenen Freitag zum Tag der nationalen Einheit erklärt. Die größten Demonstrationen finden seit Wochen in der Stadt Hama statt, aus der sich die Sicherheitskräfte zurückgezogen haben. Manche sprechen schon von Hama als befreiter Stadt – aber natürlich kann die Armee jederzeit dorthin zurückkehren.

Wenn meine Sehnsucht nach draußen zu groß wird, sehe ich mir Videos von den Demonstrationen an und schreie, an meinem Schreibtisch sitzend, laut mit den Menschen auf der Straße: »Das Volk will das Ende des Regimes! Baschar, wir lieben dich nicht!« Danach geht es mir besser.

Ab und zu verlasse ich auch das Haus, um Freunde zu treffen, mit denen ich arbeite. Sonst hielte ich es gar nicht mehr aus. Allerdings muss ich sehr vorsichtig sein, ich wähle Treffpunkte, an denen mich niemand vermutet. Und ich gehe verschleiert aus dem Haus, sodass mich vermutlich meine eigene Mutter nicht erkennen würde.

Die beste Nachricht seit Wochen war die von der Überstellung meines Mannes ins Gefängnis von Adraa. Was für eine Erleichterung! Drei Monate lang wussten wir nicht, ob er noch lebte. Jetzt können Familie und Freunde ihn sogar besuchen – alle außer mir. Als er dem Richter vorgeführt wurde, waren die Anschuldigungen fast wortgleich mit denen gegen seinen Bruder, der inzwischen frei ist: Mitgliedschaft in einer geheimen Vereinigung, Anstiftung zu konfessionellen Konflikten – die Ermittlungen drehten sich vor allem um mich und meine Arbeit. Die Justiz ist eine Farce.

Ebenso wie das vermeintliche Dialogangebot. Die internationale Gemeinschaft scheint immer noch an Assads Märchen von der Reformfähigkeit zu glauben. Warum sonst hätte Hillary Clinton, nachdem sie endlich von der verlorenen Legitimität des Präsidenten gesprochen hat, kurz darauf wieder die Reformen erwähnt? Die Syrer müssen ihr Schicksal allein meistern. Nicht einmal der UN-Sicherheitsrat kann sich zu einer Verurteilung der Gewalt durchringen. Moralisch hat der Westen hier versagt.

Natürlich kann man uns vorwerfen, die Opposition sei nicht gut organisiert, zu zersplittert. Vor zwei Wochen etwa verließen die Kurden bei der Nationalen Konferenz in der Türkei aus Protest gegen die in den Resolutionen verwendete alte Bezeichnung »Arabische Republik Syrien« den Raum. Aber woher sollte eine geeinte Oppositionsfront auch so schnell kommen, nach vier Jahrzehnten der Angst und des Misstrauens? Ohnehin sind die wichtigsten Oppositionsführer die Menschen auf der Straße. Sie zwingen den Politikern ihre Visionen auf, sie sind es, die die Revolution ins Rollen gebracht haben, nicht irgendwelche Parteifunktionäre in Hinterzimmern. Und sie entscheiden, wen sie als Führungsfigur auf dem Weg zu einem freien Syrien akzeptieren werden

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