top of page
Featured Posts

Der kleine Märtyrer Bilder, die das Gesicht des Regimes zeigen: Was der Tod des 13-jährigen Hamza fü

Manchmal weiß ich nicht mehr, was ich fühle. Der Strom der Ereignisse reißt mich mit, ohne Atempausen. Dabei möchte ich mich freuen über die stetig wachsende Zahl von Menschen, die ihre Angst abstreifen. Möchte stolz sein auf die Solidarität, die wir erleben zwischen den Städten Syriens: darauf, wie die Bewohner Hamas für die Menschen in Rastan singen und die Menschen in Homs für jene in Hama. Unsere Sehnsucht nach einem Leben in Würde macht uns tatsächlich zu einem Volk. Jeden Tag entdecke ich viele kleine Anlässe zur Freude – doch bevor ich die Freude spüren kann, schieben sich andere, widersprechende Gefühle davor. Schmerz. Wut. Trauer. Der Übergang von einem Gemütszustand zum anderen kommt ohne Vorwarnung.

Es tut weh, Menschen sterben zu sehen. Eine Beerdigung nach der anderen, wie lange halten wir das aus? Die Bilder von Müttern, die um ihre Kinder weinen, schneiden mir ins Herz. Seit Beginn der Proteste starben, so eine Schätzung, 70 Kinder. Im eigenen Haus erschossen, durch Granaten auf einen Schulbus getötet, spurlos verschwunden in Folterkellern, die kein Mensch, geschweige denn ein Kind je von innen sehen sollte.

Einer dieser unbekannten jungen Helden hat für die Welt ein Gesicht: Hamza al-Khateeb. Das Foto des 13-Jährigen, der allem Anschein nach in den Händen brutaler Folterer des Regimes starb, ist binnen Tagen zu einer Ikone auf Facebook geworden. »Wir sind alle Hamza al-Khateeb«, heißt eine Facebook-Seite zu seinem Gedenken – in Anlehnung an das ägyptische Vorbild »Wir sind alle Khaled Said«, jene Seite, die an einen von der ägyptischen Polizei zu Tode geprügelten Blogger erinnerte und eine wichtige Rolle für die Mobilisierung der ägyptischen Proteste spielte.

Vielleicht wird eines Tages der qualvolle Tod von Hamza al-Khateeb als der Augenblick in die Geschichte eingehen, an dem das Assad-Regime das Volk endgültig verloren hat.

Einen Monat vor seinem Tod war er, wie viele Tausend andere in der Umgebung von Daraa, losmarschiert, um den Menschen in der belagerten Stadt Milch und Brot zu bringen. Er soll sich sogar geweigert haben zu essen. Es sei nicht fair, dass er esse, wenn andere Menschen ausgehungert würden. Manches, das nun über ihn erzählt wird, mag Legende sein. Daran, dass ein unschuldiges Kind einen qualvollen Tod starb, ändert das nichts.

An jenem Tag, als Hamza gen Daraa marschierte, eröffnete die Armee das Feuer auf die Menge. Dutzende starben sofort, Hunderte wurden verhaftet, darunter auch Hamza. Vor einer Woche dann forderten Sicherheitskräfte Hamzas Familie auf, ihren Sohn abzuholen. Anstelle eines lachenden Teenagers wurde ihnen eine entstellte Leiche übergeben. Die offizielle Seite behauptet, der Junge sei allein an Schusswunden gestorben, der Körper sei nicht durch Folter, sondern durch normale Verwesung entstellt. Aber das ist nicht die Geschichte, die das Volk glaubt.

Das Regime will Botschaften der Abschreckung senden. Doch Hamzas Lächeln bewegt die Menschen und bestärkt sie in ihrer Wut. So wurde der vergangene Freitag zum Tag der Freiheit für die Kinder, ein Tribut an Hamza und die anderen, die ihr Leben ließen. Zwar hatte das Regime fast im ganzen Land das Internet abgeschaltet. Doch wir finden immer Wege. Zur Not erzählt der Wind unsere Geschichte.

Der Riss in der Mauer der Angst wird immer breiter, und je breiter er wird, umso mehr Menschen sehen das Licht hinter der Mauer und gehen darauf zu. Wir brauchen die Hoffnung. Wie sonst soll ich angesichts solcher Bilder wie der von Hamza die Sorge ertragen um jene, die mir am Herzen liegen und ebenfalls in den Händen der Staatsgewalt sind, seit Wochen schon?

Es gelingt mir immer weniger, mich selbst zu belügen, mir in meinem Versteck einzureden, dass sie vielleicht bald freikommen, dass ihre Verhaftung nicht unbedingt bedeuten muss, dass sie auch gefoltert werden. Als Aktivistin kenne ich die Wahrheit.

Niemand kann mich mit sanften Worten beruhigen, mit denen ich sonst andere zu beruhigen versuche. Dabei lässt mir meine Arbeit kaum Zeit zu weinen und mich zu sorgen um jene, die ich liebe. Ich muss stark sein und kann nicht auf Mitleid von anderen hoffen.

Ich bin Aktivistin. Auf eigentümliche Art macht mich das härter und einfühlsamer zugleich.

source ; Zeit Online

bottom of page