"Ich fühle mich umzingelt" Das syrische Regime verhaftet wahllos Menschen und kappt das In
Am vergangenen Freitag um 15 Uhr habe ich in meinem Versteck noch ein Stück Freiheit verloren: Das Regime hat die Internetverbindung über unseren Provider und vorübergehend auch die Einwahl übers Telefon gesperrt. Seither habe ich kaum noch Verbindung zur Außenwelt. Seit Tagen habe ich mit keinem Menschen mehr gesprochen, weil ich mich nicht mehr bei Skype einwählen kann. Mein Mobiltelefon hat die Regierung schon vor Wochen gesperrt, eine neue Sim-Karte auf meinen Namen zu besorgen wäre zu riskant. Und alle Freunde, die mir auf ihren Namen eine kaufen könnten, sind entweder verhaftet oder werden gesucht.
Online-Chats – wenn denn die Telefoneinwahl funktioniert – sind jetzt meine Nabelschnur zur Welt, Buchstabe für Buchstabe morse ich meine Nachrichten nach draußen, im Telegrammstil laufen die Meldungen von außen bei mir ein. Zwölfjähriger Junge bei Protesten in Homs getötet. Mehr als 250 Menschen in Banyas verhaftet. Strom und Internet in vielen Vierteln von Homs unterbrochen.
ie Isolation schlägt mir aufs Gemüt. Ich esse kaum, rauche viel zu viel. Wenn ich fernsehe, wird es noch schlimmer: Das syrische Staatsfernsehen zeigt stundenlang falsche Geständnisse von angeblichen Terroristen – deren Familien sich dann wenig später bei uns Aktivisten melden und uns erzählen, dass nichts davon stimme und die Geständnisse allesamt unter Folter erzwungen worden seien. Die Waffen, die angeblich bei diesen »Terroristen« gefunden wurden? Lachhaft! Wenn ich die Bilder sehe, weiß ich genau, dass die Sicherheitskräfte ihre eigenen Bestände vorführen. Wer sonst hat denn in Syrien solche Waffen? Die Demonstranten jedenfalls nicht.
Werk der Protestierenden
Natürlich sehe ich auch die Berichte
über die getöteten Sicherheitskräfte, die Bilder misshandelter Körper. Aber ich glaube einfach nicht, dass dies das Werk der Protestierenden ist. Immer wieder hören wir von Familien getöteter Soldaten, diese seien erschossen worden, weil sie sich geweigert hätten, auf Demonstranten zu schießen. Beweisen können wir es nicht, und das Regime sendet fleißig seine Propaganda. Es wundert mich aber, dass es damit offenbar einen gewissen Erfolg haben und Skepsis an den Motiven unserer Bewegung säen kann. Die Welt sollte doch inzwischen wissen, wozu dieses Regime fähig ist.
Immer wieder erwischen wir es bei Lügen: Vergangene Woche zum Beispiel traten zwei Männer im Fernsehen auf, die als Fahrer im Grenzverkehr zwischen Libanon und Syrien arbeiten. Sie wurden an der Grenze ohne ersichtlichen Grund festgenommen; zwei weitere Fahrer, die sich weigerten mitzukommen, wurden erschossen, und am nächsten Tag behaupteten die beiden anderen Männer im Fernsehen, diese zwei seien Terroristen gewesen. Wir haben die Namen der Erschossenen und wissen, dass diese Beschuldigung falsch ist.
Ich fühle mich regelrecht umzingelt. Vor ein paar Tagen haben Sicherheitskräfte ein Viertel in der Nähe durchkämmt. Oft nehmen sie einfach alle Männer eines Haushalts mit, die älter als 15 Jahre sind. Wenn der Gesuchte nicht angetroffen wird, nehmen sie gern auch ein anderes Familienmitglied als Geisel, so wie meinen Schwager. Von dem haben wir kein Lebenszeichen, seit Sicherheitskräfte am 30. April in unsere Wohnung eingedrungen sind und ihn mitnahmen, weil mein Mann und ich nicht da waren. Nicht ein Wort seither! Wir wissen nicht, wer ihn verhaftet hat, wo er festgehalten wird, wie es ihm geht oder ob sie ihn gefoltert haben, um unser Versteck zu finden (das er gar nicht kennt).
Bislang also keine guten Nachrichten diese Woche. Daraa wird immer noch belagert, und wir bekommen von dort praktisch keine Informationen mehr. Allenfalls ab und an ein paar Updates über Satellitentelefon, davon gibt es einige wenige in der Stadt. Im Moment sieht es aus, als würde das Regime mit seiner brutalen Unterdrückungsstrategie die Oberhand gewinnen. Trotzdem werden die Proteste weitergehen. Sie können uns verlangsamen, aber nicht stoppen.
Einen Lichtblick immerhin gab es diese Woche: Ich habe meinen Mann wiedergesehen. Er hat mich kurz in meinem Versteck besucht. Das war zwar riskant, aber das war es uns wert. Jetzt sind wir wieder jeder für sich, in derselben Stadt und doch wie aus der Welt. Nicht einmal telefonieren können wir im Augenblick. Nur kleine Textbotschaften wandern zwischen unseren Verstecken hin und her.
source ; Zeit Online